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In der Kolumne “Netzball” befassen wir uns in loser Folge mit Themen rund ums Tischtennis – allerdings abseits von allen Ergebnissen, Auf- und Abstiegen, Quotienten und Ranglisten. Wir wollen einen Blick auf die amüsanten, seltsamen und kuriosen Seiten unseres Sports werfen.
Als Abschluss dieser beliebten Serie blickt der Autor in Folge 9 anlässlich seines Abschieds vom TSV Wasserburg unter Heulen und Zähneklappern, aber immer mit einem Augenzwinkern, zurück auf über 15 Jahre in der Abteilung – eine sehr persönliche Bilanz.

Meinen ersten Eindruck vom Wasserburger Tischtennis gewann ich als ich als 11- oder 12-jähriger das erste Mal das Dienstagstraining der Jugend besuchte, welches von einem älteren Herrn mit Isomatte und nicht ganz topmodernem Trainingsanzug geleitet wurde, der souverän das Chaos moderierte. Dies stand im krassen Gegensatz zu den brüllenden und wild gestikulierenden Fußballtrainern am Spielfeldrand die ich bisher erlebt hatte, und sollte sinnbildlich sein für die ganze Abteilung.

Es war eine Zeit, in der wir Kinder allein in die Schule gingen um in der Pause Tischtennis spielen zu können, Rundlauf mit wohl 25 Teilnehmern. Meine halbe Klasse besuchte inzwischen Dienstags immer das Tischtennistraining, und da sich meine fußballerische Karriere mangels Talent etwas in der Sackgasse befand, fuhr ich folgerichtig eines Tages mit dem Nachbarsjungen in die Hauptschulturnhalle. Der Trainer hieß Harry Haberl – die meisten werden ihn erkannt haben – und war, so munkelte man unter uns Kindern, wohl einer der besten Herrenspieler. (Bis wir diese Erfurcht ablegten, vergingen Jahre.) Unterstützt wurde er vom stoischen Rudi Kohlmann, der sich an seiner Platte immer fünf oder sechs in einer Reihe aufgestellten Anfängern gegenübersah, denen er mit einer Engelsgeduld die Bälle zuspielte damit auf den übrigen Platten wenigstens ein halbwegs geregeltes Training stattfinden konnte. Und das tat es! Zwar fanden wir nie heraus wofür Herrn Haberls Isomatte gut war, doch unsere Spielstärke verbesserte sich von Woche zu Woche.

Höhepunkt eines jeden Trainings war natürlich das sogenannte “Königsspiel”, bei dem es galt die an einem Ende der Halle befindliche Königsplatte zu erreichen, indem man unter Zeitdruck (der erste, der einen Satz bis 11 gewonnen hatte, schrie lauthals “Stopp!”) seinen Gegner niederrang um eine Platte aufzusteigen. Um einen größeren Trainingseffekt zu erzielen, durften Punkte manchmal auch nur auf bestimmte Arten erzielt werden, und auf diese Weise konnte ich auch meinen ersten mir noch erinnerlichen Triumph feiern, indem ich mit nur erlaubten Rückhand-Cross-Schupfbällen einen gewissen Ivan bezwang, damals bereits ein starker Jugendspieler. Herrliche Zeiten!

Höhepunkt des Jahres waren natürlich die Stadtmeisterschaften im November: Um acht Uhr musste man bereits in der Halle sein um sich warmzuspielen für den wichtigsten Tag der Saison. Leider ist es mit den Stadtmeisterschaften so wie mit Weihnachten: Mit zunehmendem Alter und dem Voranschreiten ins Erwachsenenalter verloren sie immer mehr von ihrem Zauber, auch wenn ich mich Jahr für Jahr auf diesen Tag freute. Doch als Kind war der ganze Tag etwas Besonderes, es gab Wurstsemmeln, glorreiche Siege (Minimeister 1996!) und bittere Niederlagen (hach!). Nach dieser Minimeisterschaft durfte ich die Farben des TSV sogar auf Kreis- und anschließend auf Bezirksebene vertreten, es sprangen jeweils ein dritter Platz und – noch wichtiger – Pokale für zu Hause dabei heraus, im Nachhinein sicherlich der Höhepunkt meiner Karriere.

Und auch der Pfarrer-Bauer-Pokal war so ein besonderer Tag, im Keller des katholischen Gemeindehauses musste man sich unter ärmlichsten Bedingungen Runde über Runde gegen blutige Anfänger aus dem Burgerfeld mit Holz in der Hand durchsetzen, bevor es zu den spannenden Spielen kam, und immer hatte man Sorge, dass es das Los schlecht mit einem gemeint hatte und man auf die unschlagbaren Daniel Mondelli oder Seriensieger Manuel Reiter treffen würde. Turnierleiter und Ansager am Mikro war damals noch Bartträger Peter Haas, noch so eine Respektsperson für uns Winzlinge.

Denn wer sich soweit verbessert hatte, dass er langsam bereit für die Mannschaft war, durfte Mittwochs auch noch ins Training kommen. Hier brachte Haas einem “das Schmettern” bei und erwies sich auf dem Gebiet der Schlägerauswahl als Koryphäe: Kaum hatte man seinen 10-Mark-Schläger aus dem Innkaufhaus mit einem von Haas bestellten ausgetauscht, spielte man plötzlich zwei Klassen besser. Wie stolz ich war, als ich das erste mal ein Trikot (blau, gesponsert von der Hypobank Wasserburg, habe ich heute noch) ausgehändigt bekam, und bald darauf erstmals bei einem Punktspiel eingesetzt wurde! Nur langsam zwar erschlossen sich die Zahlenkolonnen auf dem Spielberichtsbogen, und in Zeiten ohne Internet musste man oft Wochen warten bis die Wasserburger Zeitung mal wieder eine Tabelle abdruckte, doch das Tischtennisfieber hatte uns endgültig infiziert.

Allerdings nicht alle, auch früher schon hörten die meisten Kinder nach und nach wieder auf, und so kam es, dass ich gemeinsam mit einem gewissen Kilian und einem gewissen Daniel (den heute niemand mehr so nennt) eine Saison beinahe komplett zu dritt absolvierte: Wir waren die Besten und wohl auch Ältesten der Liga, gewannen beinahe jedes Spiel mit dem zu dritt bestmöglichen Ergebnis von 7:2 und wurden souverän Meister der 3. Kreisliga. Als Dank bekamen wir auf der Abteilunsgversammlung eine Urkunde und – für uns damals das Größte – Gutscheine für den soeben eröffneten McDonald’s.

Unvergesslich sind einige Punktspiele aus diesen Zeiten, nicht wegen der Ergebnisse sondern vielmehr wegen dem was sonst so passierte: Wie ich mich mit einem Schechener Betreuer lautstark anlegte und dann heulend aus der Halle lief. Wie mich einmal, als ich bis nach sieben im Dienstagstraining blieb, eine kleine Frau etwas unfreundlich von der Platte verjagte mit den Worten, jetzt seien mal die Erwachsenen dran (später stellte sich diese kleine Frau doch als recht nett heraus). Oder alle diese Auswärtfahrten, bei denen uns bis dato unbekannte Herrenspieler in die Dörfer um Wasserburg fuhren: Eine Fahrt in handgestoppten 32 Sekunden nach Babensham mit einem bekannten Pfeifenraucher. Eine Auswärtsfahrt nach Schlossberg bei der wir vor verschlossenen Türen standen, bis unser sehr langer und offenkundig sehr norddeutscher Fahrer von einem gewissen “Ruuuuudiiiiii” telefonisch erfuhr, dass sich die Halle in Stephanskirchen befand. Eine Fahrt nach Vogtareuth, bei der uns der breitschultrige Fahrer nur ablieferte und meinte er sei in eineinhalb Stunden wieder da – wir gewannen (7:2) viel schneller und mussten dann im Regen warten. Der Kerl war bei uns Kindern  ohnehin nicht sonderlich beliebt, da er mit seinem Deo (sehr viel später stellte sich heraus, dass es sich dabei angeblich um ein Massageöl zum Aufwärmen der Muskeln handelte) immer die ganze Kabine einräucherte. Oder der Typ mit lichtem Haar und rotem Sportwagen, bei dem wir uns immer am meisten darum stritten wer  vorne sitzen durfte, denn hinten konnten wir langsam Pubertierende unsere Beine kaum unterbringen. Auch der unrasierte verschlafene Kerl mit dem VW-Bus blieb in Erinnerung, den wir (und da waren wir 16 und wirklich schon lange dabei) wirklich noch nie im Leben gesehen hatten.

Als langsam die Erwachsenenzeit nahte, durften die Übriggebliebenen erste Erfahrungen in der neu geschaffenen fünften Mannschaft sammeln. Hier gab es zwar anfangs auch gegen Vogtareuth II und Babensham III auf den Deckel, doch die Motivation blieb hoch, gerade wenn es gegen einen gewissen Mathelehrer aus Eiselfing ging, der einen morgens noch drangsaliert hatte, den man aber abends bezwingen konnte und damit in der Schule zwei Wochen lang der Held war (oder sich zumindest so fühlte). Nach und nach fassten wir also Fuß bei den Herren, lernten mit der Zeit auch was es mit dem ominösen “Wirt” auf sich hatte (der “Adriagrill” war dann gar nicht die verräucherte Spelunke die ich mir immer vorgestellt hatte) und waren plötzlich ein vollwertiges Mitglied der Abteilung, welches in den verschiedensten Mannschaften (Motto: Jugend vor!) eingesetzt wurde.

Unvergessen bleibt mir dabei eine Fahrt nach Brannenburg als Ersatzmann in der Dritten (“werd i mei Lebdog ned vergessen”, würde manch einer sagen): Tiefster Winter, 5cm Neuschnee auf der Straße, zwei Wochen im Besitz des Führerscheins, und mit im Auto zwei die es schaffen sich gegenseitig innerhalb von kürzester Zeit auf 180 zu bringen. Das Spiel wurde, glaube ich, 1:9 verloren.

So lernte man die Abteilung immer besser kennen: Die raffinierten Turniersysteme, Abteilungsversammlung, Abteilungsausflug, Papiersammlung … – Zeit für ein Geständnis: Bei der Papiersammlung war ich nie dabei. Samstag morgen um 8 Uhr am Bahnhof? Ich habe mich all die Jahre erfolgreich gedrückt!

Was blieb war trotz “Spezialtraining” mit extra eingekauften höherklassigen Spielern die Angst vor Niederlagen gegen das offensive Konterspiel der Damen (damals gab es ja auch noch die Mutter von drei Viertel der Mädchenmannschaft). Dafür kamen dann wieder neue Kinder und Jugendliche nach, die offenkundig mehr Talent hatten. Mit meinem Wegzug aus Wasserburg blieb ich zwar dem Verein noch treu, doch von Trainingseifer konnte keine Rede mehr sein, sportliche Stagnation war die Folge, und vom Innenleben des Vereins kam auch nicht mehr viel an.

Lange habe ich mich vor der Entscheidung gedrückt, doch irgendwann einmal ist es dann eben doch soweit. Man soll ja bekanntlich auch aufhören, wenn’s am schönsten ist, und naja, sportlich konnte ich in meiner letzten Saison wenigstens noch mal ein kleines Ausrufezeichen setzten (Einzug in die KO-Phase der Stadtmeisterschaft, ich war fassunslos – und ja, ja, die Auslosung war schon etwas glücklich). Trotzdem hat es  einer dieser nachgekommenen Jungen (der allerdings inzwischen auch bereits in die Phase Studium – Umzug – Motivationsverlust  eingetreten ist)  mit seiner augenzwinkernden Aussage “spielerisch ist es jetzt kein so großer Verlust” schön auf den Punkt gebracht. Mir hat es nie besonders viel ausgemacht zu den schlechteren zu gehören, solange ich mit den Leuten meinen Spaß haben konnte. Für einen Eintrag in die sportlichen Annalen hat es bis auf die bereits vielzitierte Minimeisterschaft nicht gereicht, aber mein, nun ja, Denkmal habe ich mir dann eben mit dieser Homepage gesetzt. Für jeden das was er am besten kann.

Schön war’s. Macht es gut!

Philipp Hell